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Form und Farbe

Zur Farbkultur im Bildwerk Harry Meyers

Betrachter der Kunst Harry Meyers sind sich in einem Punkt überwiegend einig: bezeichnend für seine Ölgemälde, wenn nicht gar ihr Haupt-Charakteristikum, sei ihre „Farbigkeit“ – einfach zu definieren eigentlich: sie sind farbig, sie weisen viele verschiedene Farben auf.

Der Zusammenhang „Maler“ und „Farbe“ scheint nun nicht sehr spektakulär; interessant ist allerdings, dass sich Geistesgrößen wie Immanuel Kant, Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Johann Wolfgang von Goethe intensiv mit der Farbthematik auseinandergesetzt haben: „Gegen die Reize der Farben, welche über die ganze sichtbare Natur ausgebreitet sind, werden nur wenig Menschen unempfindlich bleiben“, konstatiert zum Beispiel der zuletzt Genannte 1791 in seinen Beiträgen zur Optik. Und zweifellos: Farben faszinieren uns, sie evozieren und katalysieren Empfindungen, sie beeinflussen sogar nachweislich die Psyche. Es kommt nicht von ungefähr, dass der Terminus „Farbton“ die Konnotation zur Musik herstellt, welche die menschliche Wahrnehmung in vergleichbarer Weise zu berühren vermag.

Evolutionsgeschichtlich betrachtet, ist die Entstehung der menschlichen Fähigkeit des Farbensehens sehr nüchtern begründet: Das Vermögen, farbliche Varietäten und Abweichungen unterscheiden zu können, hat die Orientierung von homo sapiens in seiner nächsten Umgebung gewährleistet und optimiert – mit anderen Worten: sein Überleben gesichert

Ein einziger Blick jedoch auf Harry Meyers Ölgemälde genügt, und der Betrachter erliegt – und zwar bereitwillig – der Faszination durch die Farbfülle, die sich ihm darbietet. Er ist gefesselt vom Wechselspiel der verschiedenen Farbtöne untereinander, und dem Changieren einzelner Farben innerhalb feinster Abtönungen, sich permanent wandelnd mit dem Licht, strahlend hell oder dämmernd-düster. Die Farbe spricht: zu sich selbst und zum Betrachter; eine Verständigung, die vollkommen lautlos ist, und dennoch beinahe körperlich spürbar; die Farbe ist pure Präsenz.

 An dieser Stelle wiederum kommt der Maler ins Spiel, denn er ist es, der die Farbe erst zum Sprechen bringt. Jede Farbe besitzt die die ihr ureigene Sprache, und die Farbe sucht nach einer Form, diese zum Ausdruck zu bringen. Die wahre Kunst des Malers Harry Meyer besteht darin, diese Sprache zu finden, sie zu verstehen; er befreit die der Farbe innewohnende Energie, die eine kosmische ist, und lässt sie Formen bilden, er lässt diese Formen zum Bildwerk zusammenwachsen, auf dass es uns seine Geschichte erzähle. Jeder einzelne Betrachter ist mit dieser Geschichte – die auch seine ist – vollkommen auf sich allein gestellt. Sehen muss er immer selbst. Das Bild und seine Farben sind, um noch einmal mit Goethe zu sprechen, ein „offenbares Geheimnis“. Offenbar, sprich sichtbar, für jeden, dessen Sehvermögen organisch intakt ist. Ein Geheimnis, oder ein Mysterium gar, da sich sämtliche Begrifflichkeiten, Definitionen und Deutungen zunächst darin verlieren: Termini bedeuten nichts mehr, Betrachtung alles. Das Bild wird zum Führer, das die gesehene Farbe gestaltet, formiert und unter Zuhilfenahme des individuellen Erfahrungshorizontes des Betrachters dessen Wahrnehmung neu konstituiert. Und mit jeder einzelnen Farbe aus dem Spektrum Harry Meyers, das Kosmos und Natur abbildet, wiederholt sich dieser Prozess aufs Neue – die möglichen Formen und Ausgestaltungen der Farben sind unendlich und unerschöpflich.

Das abschließende Wort soll dem Enzyklopädisten Johann Heinrich Zedler gehören. Im umfangreichen Artikel seines „Universal-Lexicons“ über die Farbe schildert er neben vielen anderen Details die Schwierigkeiten und die Aufwendigkeit präindustrieller Herstellungsverfahren diverser blauer Farbtöne, und mokiert sich dezent über die – aus seiner Sicht – eher pseudo-wissenschaftlichen Auseinandersetzungen darüber. Letztendlich fasst er lakonisch zusammen: Und doch könne man bei alledem „das Blaue vom Himmel nicht herunterkriegen“ – der Ratschlag an den Herrn: Lass‘ es oben, das Blaue, und lausche den Erzählungen des Blaus in den Himmeln der Bildwerke Harry Meyers!

Literatur

Schröter, Jens, DIE FORM DER FARBE – Zu einem Parergon in Kants Kritik der Urteilskraft Artikel „Farbe“, in: Zedler, Johann Heinrich, Großes Vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste, Band 9, Leipzig und Halle 1735