Skip to main content

"Kein Ort. Nirgends"

Zu Bildern von Franz Baumgartner

Die erste Begegnung mit den Bildern Franz Baumgartners für den mit der Bildwelt des Künstlers noch unvertrauten Betrachter, wird aller Wahrscheinlichkeit nach von zwei grundlegenden Eindrücken geprägt sein: zum ersten vermeint man unvermittelt – und obwohl doch vorgeblich „Landschaft“ auf den Bildern zur Abbildung kommt – in seinem Inneren die Frage danach zu vernehmen, „was“ es denn sei, das abgebildet ist – und nicht, wie man zunächst vermutet hatte und auch meinte, vermuten zu sollen, „wo“ oder an welchem geographischen Ort das Dargestellte sich befinde. Und als sei diese Überraschung noch nicht ausreichend, sieht sich der Betrachter mit einer zweiten Täuschung seiner ersten oder spontanen Anmutung konfrontiert: strahlen Baumgartners Bilder auf den ersten Blick noch eine intensive Ruhe aus, steigert sich diese zur absoluten Stille, um schließlich einzumünden in ein universales Schweigen der betrachteten Welt – und plötzlich wird bewußt: schweigen kann auch das, wovon man sich wünschte, daß es mit einem redete!

Klar geworden ist jedenfalls auf eindrückliche Art und Weise, daß Franz Baumgartners Werke alles sind – nur nicht, was sie an der Oberfläche zu sein scheinen. Der sozusagen „natürliche“ Gegensatz dieser Oberfläche ist die „Tiefe“; ohne diese könnte jene gar nicht existieren bzw. nicht definiert werden. Will man nun in die Tiefe der Baumgartnerschen Werke eintauchen, bemerkt man, daß der Künstler es dem Betrachter in dieser Hinsicht nicht gerade einfach macht. Helle Wasserflächen sieht man, mit Lichtreflexen, die an Glas erinnern, und denkt an einen Spiegel, der die Bilder zurückwirft, die über ihm schweben – und dadurch vorgibt, daß gerade nichts mehr „darunter“ sei. Diese spiegelnde Oberfläche, von Seen oder Teichen, bewirkt einen entmaterialisierenden Effekt, und ist so jeder stabilen erdverhafteten Struktur – und somit jedem realen Gewässer, wie man es auf der Landkarte findet – entgegengesetzt. Und liegt diese Wasserfläche auf dem Bild dann noch, wie bei Baumgartner des öfteren, in einer Sumpflandschaft, ist ein Maximum an Unsicherheit und Unbestimmtheit – zunächst nur des Geländes, dann jedoch auch der Einordnung und Bewertung dessen, womit es man es zu tun habe – endgültig erreicht.

Erinnern wir uns an die eingangs gestellten Fragen: „was“ malt Franz Baumgartner; und warum schweigt es so beharrlich still? Einige vorsichtige Hinweise gibt uns der Künstler: Seinen im Jahre 2004 erschienenen Katalog nennt er „Senza luogo“; dies bedeutet wörtlich übersetzt „ohne Ort“, freier könnte man sagen „nirgends“. Und einer 2008 veröffentlichten Zusammenschau seiner Werke gibt Baumgartner den Titel „Rifugio“, dies heißt „Refugium“ oder „Zuflucht“. – Ist dies nun nicht ein eklatanter Widerspruch? Wie kann man seine Zuflucht nehmen zu einem Ort, der keiner ist, zu einem „Nicht- Ort“? Diesen Zweifel verstärkt der Künstler noch, indem er auf manchen seiner Bilder – zum Beispiel auf dem 2005 entstandenen Werk „Hütte“ – menschliche Artefakte oder auch Behausungen plaziert. Deren Hersteller oder Erbauer sind verschwunden aus dem Bildraum, sind nicht einmal mehr Randerscheinung; und das Haus, die Hütte, spiegeln die Unverletzlichkeit der Behausung, mit anderen Worten ihre Tauglichkeit als Zuflucht, nur vor – trauen würde ihnen niemand, und wer wirklich Schutz braucht, würde sich nur aus purer Verzweiflung oder aus Mangel an Alternative dorthin flüchten. Der „Nicht-Ort“ als Zufluchts-Ort? – hier ist es vonnöten, weiterzudenken. Ein Blick auf die Feinheiten der Sprache mag helfen. Das italienische „rifugio“ verfügt nämlich über durchaus mehrere Bedeutungsebenen, die im Deutschen eher zum Bewußtsein kommen, da dieses zwischen der „Zuflucht“, die ein Ort, und der „Zuflucht“, die ein Tun ist, ein Vorgang, unterscheidet.

Und mit genau dieser Erkenntnis öffnet Franz Baumgartners Bildraum seinem Betrachter den Zugang unter die Oberfläche: der menschliche Geist, die Psyche, Imaginations- und Vorstellungskraft vermögen sich hinzubegeben zu einem „rifugio“, wo der Körper nicht ist, „senza luogo“ eben, ohne physische Präsenz, hier, am gegebenen Ort. Aufzeichnungen von Überlebenden der Shoah kommen in den Sinn, die, trotz aller Verschiedenheit der individuellen Schicksale, darin übereinstimmen, daß sie, inmitten unaussprechlichen Grauens, auf die „Freundschaft als Zufluchtsort“ stießen, wie Elie Wiesel es einmal ausgedrückt hat. Ein geistiger Raum ist es, um den es hier geht; reale Orte sind nicht mehr von Belang – und ihre Namen schon gar nicht.

Der Mensch ist sich selbst der Ort, und seine Ideen und geistigen Bilder sind seine Landschaft – so könnte man die „Landschaften“ Franz Baumgartners vielleicht umschreiben. Und exakt dies ist auch der Grund dafür, daß sie, aus verschiedenen, vermeintlich bekannten „landschaftlichen Bauteilen“ – wie Wasser, Baum, Holzhütte – zusammengesetzt, oberflächlich betrachtet, schweigen: da sie landläufige Vorstellungen von und Ansprüche an „Landschaft“ weder bedienen noch dieses zu tun überhaupt je beabsichtigen, haben sie in dieser Hinsicht dem Betrachter auch nichts mitzuteilen. Jedoch: sie fordern auch nichts! Wer allerdings bereit ist zum Blick unter die glänzende Oberfläche, zum Abstieg in die Tiefe, demjenigen können sie einen Weg weisen – hin zu einem Zufluchtsort, den er bisher nicht gekannt, von dessen Existenz ihn höchstens eine vage Ahnung gestreift hat – zu seinem innersten Selbst nämlich.

„Die Welt tut, was ihr am leichtesten fällt: Sie schweigt.“

Christa Wolf, Kein Ort. Nirgends, 1981

Franz Baumgartner - Kein Ort. Nirgends

in Ausstellungskatalog:

"Perspektive Landschaft, Aktuelle Positionen der Landschaftmalerei"

Dokumentation der Ausstellungen auf Schloß Achberg und im Kunstverein Augsburg / Toskanische Säulenhalle

 

Herausgeber: Dr. Kai-Michael Sprenger

 

beteiligte Künstler:

Franz Baumgartner, Michael Bach, Jan Kromke, Werner Liebmann, Christopher Lehmpfuhl, Harald Gratz, Ronald Franke, Werner Knaupp, Harry Meyer, Sigrid Nienstedt, Bernd Zimmer usw.

 

 ISBN 3-9809999-9-8


Literatur

Beelmann, Axel, Artikel „Wohnen“, in: Konersmann, Ralf (Hrsg.), Wörterbuch der philosophischen Metaphern, 2., unveränderte Auflage, Darmstadt 2008, S. 545 – 557 Rolf, Thomas, Artikel „Tiefe“, in: Konersmann, Ralf (Hrsg.), Wörterbuch der philosophischen Metaphern, 2., unveränderte Auflage, Darmstadt 2008, S. 458 – 470

Franz Baumgartner

Vita - Ausbildung - Preise

geboren 1962 in Kleve
lebt in Köln

Studium

1985-1989 Fachhochschule Köln bei Professor Karl Marx
1989-1993 Kunstakademie Düsseldorf bei Professor Dieter Krieg

Preise und Stipendien

2000 Arbeitsstipendium im Herrenhaus Edenkoben

1999 Arbeitsstipendium des Kunstfonds e.V.

1998 Stipendiat des Villa Vigoni - Kollegs, Loveno di Menaggio, Italien

1997  Stipendium der Villa Romana

1994  Reisestipendium des Kunstvereines für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf

Deutscher Kunstpreis der Volks- und Raiffeisenbanken

1993  Preis der Darmstädter Sezession

Einzelausstellungen
1994-2020

2020

Galerie Felix Ringel, Düsseldorf
Galerie Peters- Barenbrock, Ahrenshoop

2019

Richas digest Kunstraum Köln
Cyprian Brenner Galerie, Schwäbisch- Hall

2018

Kunstraum Averkorn, Sinsheim
Galerie Hübner, Frankfurt

2017

Atelier-Galerie Oberländer, Stadtbergen

2016

Galerie Cyprian Brenner, Schwäbisch- Hall
Galleria VV8 arte contemporanea, Reggio Emilia, Italien

2015

Galerie Felix Ringel Düsseldorf

Galerie Pfundt, Berlin

2014

Universität Schloss Mannheim
Galerie Peters- Barenbrock
Vida Museum, Öland, Schweden
Galerie Cyprian Brenner, Schwäbisch- Hall

2013

Galerie Hübner, Frankfurt

2012

Galerie Lux, Berlin
The Solo Show, Basel, Galerie Felix Ringel
SüdWestgalerie, Niederalfingen
Strzelski Galerie Stuttgart

2011

contemporary art, Heusden aan de Maas, NL
EMB-Contemporay Art, Liechtenstein

2010

Galerie Felix Ringel, Düsseldorf
Galerie Peters- Barenbrock, Ahrenshoop
Kulturkirche St, Egidien, Nürnberg

2009

Galerie Hübner, Frankfurt
Galerie Lukas Feichtner, Wien, Österreich

2008

Galleria Astuni, Pietrasanta, Italien
Galleria VV8 artecontemporanea, Reggio Emilia, Italien

2007

Galerie Lukas Feichtner, Wien, Österreich
Galerie Felix Ringel, Düsseldorf
Galerie Hof & Huyser, Amsterdam

2006

Galerie Felix Ringel, Düsseldorf
Galerie Hübner, Frankfurt

2005

Galerie Hof & Huyser,Amsterdam

2004

Galerie Hübner, Frankfurt
Galleria Astuni, Pietrasanta, Italien

2003

Galerie Hof & Huyser, Amsterdam

2002

Kunstverein Siegen
Museum für Gegenwartskunst, Siegen
Felix Ringel Galerie, Düsseldorf
Galerie Six Friedrich/Lisa Ungar, München

2001

Galerie Hof & Huyser, Amsterdam
Galerie Hübner, Frankfurt/M.

2000

Galerie Renate Schröder, Köln
HWL - Galerie, Düsseldorf
Ausstellung zum Abschluss des Stipendiums, Herrenhaus Edenkoben
Lippische Gesellschaft für Kunst e.V., Kunstverein Detmold
Galerie Hübner, Berlin

1999

Galerie Six Friedrich, München
Galerie Hübner, Frankfurt/M.

1997

Galerie Brigitte Ihsen, Köln
Kunstverein Bahlingen
Galerie Hof en Huyser, Amsterdam (NL)

1996

Stadtmuseum, Siegburg

1995

Galerie Barz, Hannover
Galerie Six Friedrich, München
Mathildenhöhe, Darmstadt

1994

Galerie Brockmanns, Willich

Gruppenausstellungen
2007-2020

2020

Stiftung Sparkasse Biberach

Galerie Cyprian Brenner, Augsburg

Städtische Galerie Schloss Kißleg

2019

Kunstverein Xanten

Galerie Hübner, Frankfurt

Ecke Galerie, Augsburg

Galerie Hübner, Frankfurt

Galerie Peters- Barenbrock, Berlin

Kunsthalle Darmstadt

Designhaus Darmstadt

2018

Richas Digest Kunstraum, Köln

Galerie Hübner, Frankfurt

Galerie Peters- Barenbrock, Ahrenshoop

Galerie Cyprian Brenner, Niederalfingen

2017

Nord Art, Kunstwerk Carlshütte, Rendsburg

Galerie Sabine Pfundt, Berlin

Galerie Hübner, Frankfurt

Galerie Peters- Barenbrock

2016

Galerie Felix Ringel, Düsseldorf

Art Priori, Mannheim

Galerie Schageshof, Willich- Anrath

Kunstforum Eifel, Schleiden- Gmünd

2014

Galleria Astuni, Bologna, Italien

Galerie Hübner, Frankfurt/ Main

Galerie Sabine Pfundt Berlin

Galerie Felix Rngel, Düsseldorf

2013

Suedwestgalerie Niederalfingen

Galerie Peters- Barenbrock, Ahrenshoop

Suedwestgalerie Niederalfingen

2012

Galleria Astuni. Bologna Italia

2010

Museum Kurhaus, Kleve

Kunstverein Augsburg

2009

Schloss Achberg, Ravensburg

Sammlung Urban, Waidhofen/ Ybbs, Österreich

2008

Kunstsammlung Gera, Orangerie

2007

Galerie Hübner, Frankfurt

2006

Galerie im Woferlhof, Bad Kötzting

Städtische Galerie Böblingen

2005

Trevi Flash Art Museum

Tresor Kunstforum ,Wien

Biennale Prag 2

Jubiläumsausstellung 100 Jahre Kunstpreis der Villa Romana

Fuhrwerkswaage Köln

Lukas Feichtner Galerie, Wien

Mathildenhöhe ,Darmstadt

2004

Artoll-Labor, Bedburg - Hau

2003

Galerie Nisters, Speyer

2002

Galerie Schrade im Schloß Mochenthal, Ehingen

Kulturbahnhof Eller, Düsseldorf

2000

Kunstverein Düsseldorf

Michetti, Francavilla al mare, Italien

Artoll Labor, Bedburg – Hau

1998

Museum Folkwang, Essen

Mittelrhein - Museum, Koblenz

1997

Museum Schloss Homburg, Nümbrecht

1996

Haus der Kunst, München

Raum für Acht, Gothaer Kunstforum, Köln

Universität Alicante, Spanien

1995

Artoll Labor im Bedburg – Hau

Galerie Six Friedrich, München

Josef - Haubrich - Kunsthalle, Köln

1994

Haus der Kunst, München

Vita Franz Baumgartner