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Michael Königer

Die Fortsetzung eines unterbrochenen Lebens

Welch Bestiarium!

Reh, Widder, Rind, Schaf, Katze – und immer wieder den Vogel, stellt uns der Steinbildhauer Michael Königer vor Augen. Ein humanoides Wirbelfragment erscheint eher nebenbei.

Wie die Abbildungen von Tieren und Fabelwesen in mittelalterlichen Handschriften, vielschichtig in ihrer Bedeutung, schafft der Künstler animalische Geschöpfe, ihre Assoziationskraft so steinern-schwer wie ihr Ausgangsmaterial. Der mit Blattgold überzogene Sperlingsschädel (2014) erscheint wie ein Kristall im umgebenden Gestein; die Knochenharfe (2015) ist eindeutig als Musikinstrument betitelt, jedoch auch der Rehschädel (2014) weist eine deutliche Anmutung an Orgelpfeifen auf. Eine Steigerung erfährt die Ambivalenz beim Pferdeschädel (2015): Lineare Strukturen, eine Umfassung, die an einen Schrein gemahnt, oder aber den Schädel mit Gewalt in einen Rahmen presst? Auf den zweiten Blick jedenfalls ist nicht sicher, wer was bezwingt: Der Rahmen den Schädel? Oder sprengt vielmehr der Schädel die Struktur? – wobei er sich über die Schrein-Assoziation, mit den wenigen verbliebenen Zähnen grinsend, höchst lustig macht.

Dem Betrachter ist nicht verborgen geblieben, dass Königer die Tiere nicht als Ganze darstellt, sondern als Schädel, Schädelteile, Knochenfragmente. Natürlich – seit alters her steht das Fragment, der Schädel pars pro toto, ist rudimentär und vollständig zugleich. Und, natürlich – die Symbolik des Schädels, des Knochens, der Gebeine verweist überwiegend auf das menschliche Leben, bezieht seine Faszination daraus, dass das Gebein beiden Bereichen angehört, dem Leben und dem Tod. Bleibt es doch nach diesem am längsten erhalten und ist grundlegend für die Reflexion über Diesseits und Jenseits, (christliche) Auferstehung, ein Weiterleben nach dem Tode allgemein.

Der Traum vom ewigen Leben, philosophisch formuliert: Das „Grundproblem von „Übergängigkeit“, ist wohl allen Kulturen gemein. Wenn „etwas“ hinübergeht, in der Art einer unsterblichen Seele, macht dies nur Sinn, wenn ein „Ort“ existiert, zu dem es gehen kann. Und von der Annahme eines solchen Ortes wiederum ist es nicht weit zu der Fragestellung, ob man denn dort den Körper nicht wieder benötige, bzw. ob und wie man ihn mitnehmen könne. Anders gefragt: Was unternimmt man diesbezüglich mit den Leichnamen?

Die Begriffsgeschichte erklärt, der Begriff „Skelett“ wurde im 16. Jahrhundert aus dem Griechischen entlehnt; wörtlich bedeutet er „ausgetrockneter Körper“ und verweist hiermit auf die Praxis der Mumifizierung, das heißt den konservierenden Umgang mit Leichen zwecks „Wiederverwendung“, einmal ungeschliffen ausgedrückt. Dies führt unmittelbar zurück zu Königers Werken: Zum einen wurden bei den alten Ägyptern nicht nur Menschen, sondern auch in großer Anzahl Tiere mumifiziert; des Weiteren wecken Tierköpfe in unterschiedlichen Kulturen Assoziationen an Grabbeigaben und besetzen somit das Feld Tod und Bestattung.

Mumifizierung und Verwesung interessierten ihn, sagt Königer – ein Widerspruch? Soll die erstere doch exakt die zweitere verhindern? – Gräbt man ein wenig die Geistesgeschichte um, eröffnet sich der Einblick in komplexe Sinnzusammenhänge. Johann Heinrich Zedlers „Großes Vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste“ unterscheidet 1746 die „Verwesung“ ,ausdrücklich von der „Vernichtung“; die Verwesung sei eine „Trennung der Teile“; während dieses Prozesses entweiche „Materie“, welche teilweise als Tau und Regen wieder herunterkommt, bedeutet: in die Nahrungskette eingeht und so zum Erhalt anderer, lebender Körper beiträgt. „Verwesen“, so Zedler in der ihm eigenen Argumentationsweise, heiße nichts anderes, als dass das „Wesen“ wegginge, woraus sich im Umkehrschluss ergibt, dass auch etwas (anderes) dauerhaft bleibt. Führt man sich jetzt vor Augen, dass „Mumie“ oder „Mumia“ anfänglich nicht den einbalsamierten Körper selbst meinte, sondern die braun-schwarzen, harzigen Balsam-Reste an den Toten, also eine Substanz, so beginnen sich vermeintliche Abgrenzungen zu verschieben. Insbesondere in der vormodernen Medizin waren Mumien bzw. die Mumia als Arznei hochbegehrt, u. a. für Knochenbrüche (womit sich der Kreis zum „Gebein“ schließt). Nach damaliger Auffassung heilten Mumien durch ihre „balsamischen“ Ingredienzien quasi alle bekannten Gebrechen (sofern man nicht einem der zahlreichen Betrüger aufsaß, die gefälschte Mumien verkauften, da diese auch für fürstliche Kunstkammern und Kuriositäten-Kabinette gesucht waren). Alchemisten sprachen von der Mumie als einem „überaus feinen, subtilen, geistigen Teil“ und schrieben ihr heilende magnetische und magische Kräfte zu. – Zusammengefasst: Mumie ist Körper, Substanz, Ding, und Mumie ist Essenz, Fluidum, Wirkkraft. Verwesung ist ein Prozess, aber nicht das Ende.

Die Betrachtung der tierischen Knochen-Skulpturen des Michael Königer ermöglicht nicht nur eine Auseinandersetzung mit Tod und Vergänglichkeit im Besonderen, und der menschlichen Existenz im Allgemeinen, sie zwingt dazu: Essentielle Bestimmungsfaktoren sind in den Kunstwerken miteinander verwoben und zur Anschauung gebracht. Mit dem ewigen Leben assoziiert der moderne Mensch doch eher anhaltende Jugendlichkeit und irdisches Vergnügen – aber auch die bestkonservierte Mumie und die prächtigste Reliquie sind tot; sie mögen eine gewisse Magie ausstrahlen, jedoch eine unbehagliche Magie, um es mit Jorge Luis Borges zu formulieren. Andererseits: Magie eben – sie leben nicht mehr, aber existieren immer noch!

Königer erweist sich als ein Meister der Ambivalenz, er führt die Gedankengänge des Betrachters vom Leben zum Tode, vom Menschen zum Tier und zurück, eröffnet Einsichten – ob sie uns nun immer gefallen oder nicht. So hat der Mensch nicht nur animalische Vorfahren, sondern trägt das Tier bis heute in sich; man bedenke als Beispiel die Entwicklung des menschlichen Fötus, welcher sozusagen die Evolution durchläuft: Vom Fisch über das Amphibium zum Säugetier. Und folgt daraus nicht, dass die Wahrnehmung des Tiers mehr sein muss als eine solche von Trophäe, Nutzungsobjekt oder Projektionsfläche?

Königers Vorstellungskraft und sein bildhauerisches Potenzial lassen uns nicht in Ruhe, was jedoch keinesfalls negativ besetzt ist – Ruhe hat man nach dem Tode noch genug. In seinen Skulpturen ergänzt er Fehlendes, auch im Verfallenden bzw. Verfallenen. Er zeigt auf, um den Geschichtsphilosophen Kurt Röttgers zu zitieren, dass „manche Übergänge ... nicht überbrückbar“ seien, sie könnten nicht „durchquerend vollzogen werden,“ aber: als Umwege sind sie machbar!

„Die Zauberer sagen, der Tod ist der einzige würdige Gegner, den wir haben. Der Tod ist ein Herausforderer. Um seine Herausforderung anzunehmen, sind wir geboren – ob Durchschnittsmensch oder Zauberer. Die Zauberer wissen davon; die Durchschnittsmenschen nicht.“

Carlos Castaneda


Literatur:

Röttgers, Kurt, Artikel „Übergang“, in: Konersmann, Ralf (Hrsg.), Wörterbuch der philosophischen Metaphern, 2. Unveränderte Auflage, Darmstadt 2008, S. 471-485

Artikel „Mumie“, in: Zedler, Johann Heinrich, Großes Vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste, Band 22, Leipzig und Halle 1739, Spalten 735-751

Artikel „Verwesung“, in: Zedler, Johann Heinrich, Großes Vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste, Band 48, Leipzig und Halle 1746, Spalten 183-185

 

Michael Königer

Vita

1959 geb. in Dachau

1976 Ausbildung zum Bildhauer und Steinmetz

1985 Steinbildhauermeister

1993 Berufsverband BBK Augsburg

1994-1996 Auftragsarbeiten für den Hell’s Angel’s MC,
         Deutschland, Holland, England

2004 Initiator Bildhauer-Symposiums Mühlhausen/OPf.

2012 Filmprojekt „Rockin Stone“, Zipf/Königer

2017 Projekt „Cooking Vinyl“; Schallplatten-Skulpturen/„Zeitkönig“; Zeitler/Königer

Kunst im Öffentlichen Raum

2013 Fischskulptur Fischersiedlung, Mühlhausen/OPf.

2013 Läuferin II Isola Vicentino, Italien

2016 Akt und Idee, Landlmuseum Sulzbürg

2016 Leibniz-Denkmal, Altdorf/Nbg.

2016 Skulpturenpfad Mühlöhausen/OPf., „Vom Werden und Vergehen“;
         Gemeinschaftsprojekt (Graule/Schinn/Fürbacher/Königer/Zeitler)

2018 Skulpturenpfad Mühlhausen/OPf.; „Paarlauf/Kopf“, Königer/Lynderup

2020 Gemeinschaftswerk „Covid“ - auf Abstand 1.5, Rathausplatz/Mühlh./OPf., Fürbacher, Lynderup, Reithmeier, Königer, Schinn

Auswahl-Ausstellungen und Symposien

2011 Galerie Herrmann, Neumarkt/OPf.

2014 Teilnahme 1. int. Bildhauersymposium Lauchheim, BWB;
         anschl. Ausstellung Lauchheim-Ellwangen-Mühlhausen

2014 Ausstellung Deutschordenschloss, Postbauer-Heng

2016 Teilnahme „Offenes Atelier“

2017 Stein-Bild-Hauer, Finanzministerium Nürnberg
        „Stein·MichaelKöniger|Hauer|FelixRöser·Bild“

2017 Teilnahme Sulztaler-Kunst- u. Kabaretttage

2017 Bildhauersymposium, Riedenburg

2018 Ausstellung Audi-Zentrum, Ingolstadt

2019 Teilnahme „Kunst ohne Filter“, Kunstautomat, Neumarkt/OPf.

Vita Franz Baumgartner