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Werner Knaupp

Wenn die Wasser gen Himmel steigen und die Bäume nach den Sternen greifen

Die Frage nach der Gemeinsamkeit im Werk von Werner Knaupp und Harry Meyer war anläßlich vorangegangener Ausstellungen unter anderem auch dahingehend beantwortet worden, daß beide Maler des Naturraums seien, sich mit einer Natur auseinandersetzten, die ewig sei, vormenschlich gleichermaßen wie nachmenschlich, kosmisch. Betrachtet man die jüngsten Arbeiten beider Künstler, hat diese Aussage nach wie vor Bestand; ebenso deutlich jedoch nimmt etwas Neues Gestalt an, tritt etwas in den Blick, das in dieser Form bisher noch nicht wahrzunehmen war. So begegnet man bei Knaupp, dem Maler der Elemente – entweder des vulkanischen Feuers oder schwarzer Wogen, die sich gegen das Licht verbarrikadieren –, nun einem Berg aus Wasser, einer Eruption der Fluten, einem gebündelten Sog nach oben, wie ein Tornado rotierend. Überwiegend im Hochformat, vergegenständlichen diese Bilder ein Streben zum Himmel von solch gewaltiger Intensität, daß man sich unwillkürlich fragt, ob der Maler des Naturraums etwa die Gesetze der Natur nicht mehr kenne und die Schwerkraft meine überwinden zu können; rücksichtslos im Wortsinne trotzen seine Wasser der Gravitation, selbst um den Preis ihrer Identität – das Element muß sich wandeln oder vergehen.
Bei Harry Meyer ist die Veränderung auf den ersten Blick noch augenfälliger: der Natur-Maler zieht sich den Garten zurück! Die Suche nach dem verlorenen Paradies, der heilige Hain, die gebändigte und kultivierte Natur: womit überrascht uns der Künstler? Mit nichts
dergleichen; bei dem Versuch, Harry Meyers Garten nachzuspüren, bringt uns der französische Philosoph Roger Caillois auf den richtigen Weg: Gärten, erkennt er, „gehören der lebendigen Natur an, sie sind empfindlich und vergänglich, der Sonne und den Unbilden des Wetters ausgesetzt, und doch sind sie durch eine Fähigkeit, … Energien zu verstehen und zu steuern, ersonnen und verwirklicht.“ Der Gärtner füge den Gegebenheiten des Universums keinen Gegenstand, kein Werk hinzu; er wandle ein Stück Natur um – das aber dennoch Natur bleibt. Und der Künstler, der den Garten im Wandel der Jahreszeiten malt, zeigt uns denselben als Allegorie des Seins, die Gesamtheit des Universums als Muster, den Mikrokosmos als Miniatur des Makrokosmos; die Natur dem Menschen nahegebracht im quasi handhabbaren Format, und deshalb in ihrem innersten Wesen erfaßt und faßbar.
Die Verbindung zwischen der Allegorie und dem Großen, Ganzen stellt Meyer subtil und empfindsam her, indem er dem Obstbaum im Frühling Blüten auftupft wie Sterne; den sommerlichen Baum erhellt ein inneres Leuchten, er schöpft kosmische Energie unmittelbar aus dem Firmament. Caillois fragt: „Was bleibt … noch anderes zu erfinden als den arktischen Garten, der, gewissermaßen immateriell, aus Reif und Frost besteht, aus dem Abglanz von Sternen auf der Eisbank und aus Licht-Draperien nach einer Nacht, so lang, daß ihr Tag vergessen ist?“ – Es gibt ihn, diesen „arktischen Garten“; „ersonnen und verwirklicht“ in den „Hiberna“-Bildern Harry Meyers, in welchen er das natürlich-phänomenologische Wesen des „Kalten“ zu vergegenständlichen vermocht hat. Von „Energien verstehen und steuern“ war oben die Rede – an dieser Stelle nun ist zu Werner Knaupp zurückzukehren. Daß sein Werk geprägt ist von umfassendem, lebenslang erarbeitetem Verständnis für natürliche, energetische Prozesse, und durchstrahlt von tiefem, ja demütigem Respekt vor dem Wesen und den Eigengesetzlichkeiten der Natur, braucht eigentlich nicht wiederholt zu werden. Jedoch: „steuern“ ist nicht länger das Movens des Malers Knaupp (wenn es das je gewesen sein sollte); ihm geht es, und dies ist das Vollendete, das Neue, in seinen Bildern, um etwas anderes: um die Rückkehr zum Ursprung, um die Wiedervereinigung mit der Schöpfung, dem energetischen Prinzip, dessen Element er ist, dessen Element wir alle sind, dessen Element alles Bestehende ist: „Das göttliche Prinzip schläft im Stein, atmet in der Pflanze, träumt im Tier und erwacht im Menschen.“, sagt ein altes tibetisches Sprichwort
Knaupp, dem seit jeher ein Gespür für die Interdependenz, den inneren Zusammenhang, der Elemente und Naturerscheinungen eignet, der Vulkanausbrüche malt getreu der klassischen Auffassung, daß dieselben zu den „motus terrae“ gehören, den Bewegungen der Erde im gesamten, der tektonischen Prozessen so lange nachspürt, bis er Teil dieser Prozesse, zur Bewegung selbst, wird – zu Faltung und Verwerfung, zu Fluß und Erstarrung, zu Vereisung und Erosion – er hat sich endgültig auf den Weg gemacht. Beflügelt von einer Freiheit, die nur das Alter gewähren kann, macht er sich auf die „Suche nach dem Land jenseits der Zeit“, wie es der Physiker und Kosmologe Paul Davies ausdrückt; getrieben vom „tiefen menschliche Bedürfnis“, so Davies weiter, „den Ursprung der Dinge zu erklären“, und dies bringe uns „unwiderstehlich zurück in eine Zeit vor der Zeit, in ein mythisches Reich zeitloser Zeitlichkeit“; dort träfen wir, unabhängig vom Kulturkreis, auf die „gleiche berauschende Symbolik eines verlorenen, zeitlosen, vollkommenen Reichs, das irgendwie – paradox und zeitlos – in schöpferischer Beziehung zur jetzigen Welt des Zeitlichen und Sterblichen“ stehe.
Empirisch erfassen oder gar als existent beweisen, läßt sich das „Land jenseits der Zeit“ nicht – aber es macht gerade das Wesen von Transzendenz aus, daß sie die Möglichkeit der Beweisbarkeit sprengt, niemals aber die Möglichkeit der Existenz! Nichts weniger als dieser Erkenntnis verleiht Knaupp Raum in seinen jüngsten Bildern. Wenn Wasser zum Berg wird, dieser Berg gleichzeitig, in der Wasseroberfläche gespiegelt, „auf dem Kopf“ steht, wird deutlich, daß sich hier ein Übergang von einer in eine andere Welt auftut: das Wasser ist die andere Seite des Himmels; die Dinge können in ihrer Erscheinung alles sein, in ihrem Wesen jedoch sind sie eins. Daß sich die Erscheinung des Baumes im Wasser eines darunter befindlichen Teiches spiegelt, betrachtet man im übrigen auch in Harry Meyers Garten; auch Meyer thematisiert die „Erscheinung“, und die unauflösbar damit verbundene Frage nach dem, was sich hinter der „Erscheinung“ verbirgt, die Frage nach dem Wesentlichen. Dieses Streben nach Erkenntnis ist es, was Werner Knaupp und Harry Meyer eint; ebenso die Zielgerichtetheit, ja Unerbittlichkeit, mit der es sich Bahn bricht; aus einer inneren, „absoluten“, sprich unbedingten, Notwendigkeit heraus. Beide Maler haben auf ihrem jeweils bisher zurückgelegten Weg der Befragung der Natur, des Kosmos, des Universums, erfahren, daß die Determinanten der Natur so aufeinander abgestimmt sind, beziehungsweise sich so entwickelt haben, daß wir Menschen als Beobachter dieses Universums überhaupt existieren können. „Anthropisches Prinzip“ nennen Naturwissenschaftler diese Prämisse nüchtern. Ludwig Wittgenstein formuliert es philosophisch, und mit mehr Ehrfurcht: „Nicht wie die Welt ist, ist das Mystische, sondern daß sie ist.“ – Der Kreis schließt sich mit dem berühmten Dichterwort Thomas Stearns Eliot’s:


„Werden wir nicht nachlassen in unserm Kundschaften /
Und das Ende unseres Kundschaftens /
Wird es sein, am Ausgangspunkt anzukommen /
Und den Ort zum ersten Mal zu erkennen.“ )

(„Little Gidding“, 1942


Literatur:
Caillois, Roger, Die Schrift der Steine. Aus dem Französischen und mit einem Nachwort von Rainer G. Schmidt, Graz / Wein 2004

Davies, Paul, Die Unsterblichkeit der Zeit. Die moderne Physik zwischen Rationalität und Gott. Aus dem Englischen von Wolfgang Rhiel, Bern / München / Wien 1995

Görnitz, Thomas und Brigitte, Der kreative Kosmos. Gestalt und Materie aus Quanteninformation, München 2007

Werner Knaupp

Vita

1936 In Nürnberg geboren
1957-1961 Studium der Malerei an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg
1963-1964
seit 1964 Reisen in extreme Landschaften (Wüsten, Vulkane, Berge)
1970-1971 Gastdozentur an der Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe
1977 Teilnahme an der documenta 6
1977-1978 Arbeit als Hilfspfleger im Nervenkrankenhaus Bayreuth
1979 Arbeit im Sterbehaus der Mutter Teresa in Kalkutta, Indien
1980 Arbeit im Krematorium Nürnberg
1982-1987 Arbeit mit dem Schmiedemeister Hans Hahn an Skulpturen
1986-2001 Professur für Malerei an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg
2002-2012 Großformatige Acrylbilder (Vulkane, Klippen und Meer)
seit 2004 Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste München
2012-2018 Blumenprojekt (Fotografien, u. a. geschnitten und mit Acryl übermalt)
seit 2018 Starkfarbige Acrylbilder (Atome, Vulkane)

Einzelausstellungen
(Auswahl seit 1965)

Galerie Defet, Nürnberg; Galerie Stangl, München; Kunsthalle Baden-Baden; Mannheimer Kunstverein; Kunstverein Heilbronn; Galerie Bernd Lutze, Friedrichshafen; Galerie Wilbrand, Köln; Kunsthalle Mannheim ; Augustinermuseum der Stadt Freiburg; Heidelberger Kunstverein; Nationalgalerie Berlin; Kunsthalle Bremen; Overbeck-Gesellschaft Lübeck; ; Germanisches Nationalmuseum; Suermondt-Ludwig-Museum, Aachen; Städtische Galerie im Cordonhaus, Cham; Museum für zeitgenössische Kunst, Frankfurt/Oder; Kunstverein, Coburg; Neues Museum, Nürnberg; Galerie Hartmann & Noé, Berlin; Bayerische Akademie der Schönen Künste, München; Kulturspeicher Oldenburg im Stadtmuseum Oldenburg; Kunstmuseum Bayreuth; ; Bode Galerie, Nürnberg; NordseeMuseum Husum; Galerie Rothe, Frankfurt/Main; Marburger Kunstverein;

Gruppenausstellungen
(Auswahl siet 1965)

Haus der Kunst, München; Badischer Kunstverein, Karlsruhe; Kunsthalle Nürnberg; Kunstverein Hannover; Galerie von Loeper, Hamburg; University of Kentucky Art Gallery, University of Iowa Art Museum, San Francisco Museum of Art, Städtische Kunsthalle, Recklinghausen; Städtische Galerie Schloß Oberhausen; Rheinisches Landesmuseum, Bonn; Mathildenhöhe, Darmstadt; Staatsgalerie Stuttgart; Landesmuseum, Münster; Haus der Kunst, München; Galerie Defet, Nürnberg; Kunstverein Augsburg; Staatliche Graphische Sammlung, München; Städtische Kunstsammlungen, Ludwigshafen; documenta 6, Kassel; Kunsthalle Kiel; Nationalgalerie Berlin; Galerie deGalerie Holbein, Lindau; Kunstsammlungen der Veste Coburg; Galerie der Stadt Kornwestheim; Kunstverein Salzgitter; Kunsthalle Darmstadt; Städtische Galerie, Erlangen; Kunstverein München, München; Berlinische Galerie, Berlin; Kunstmuseum, Düsseldorf; Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen
Neue Galerie der Stadt Linz; Wolfgang-Gurlitt-Museum, Linz; Museum Ludwig, Köln; Kunsthalle Düsseldorf; Kasseler Kunstverein; Gesellschaft für Aktuelle Kunst e.V., Bremen; Graphische Sammlung, Staatsgalerie, Stuttgart; National Gallery of Modern Art, Jaipur House, New Delhi; Wilhelm-Lehmbruck-Museum, Duisburg; Kunstverein Hamburg, Hamburg; Städtische Galerie im Lenbachhaus, München; Kunstverein Köln, Köln; Atelier-Galerie Oberländer, Augsburg; Galerie Manfred Rieker, Heilbronn; Kunsthaus Nürnberg; Kunstpalast Düsseldorf
Bundeskanzleramt, Bonn; Neue Darmstädter Sezession, Darmstadt; Overbeck-Gesellschaft, Lübeck; Galerie Rothe, Frankfurt a.M.; St. Annen-Museum, Lübeck; Galerie der Stadt Rastatt; Museum Folkwang, Essen; Esslinger Kunstverein; Pfalzgalerie, Kaiserslautern; Städtische Museen, Heilbronn; Staatliche Galerie Moritzburg Halle; Musée d´Unterlinden, Colmar; Kunstverein Eislingen; Galerie der Künstler, München; Gedenkstätte Theresienstadt, Theresienstadt; Kunstverein Kronach; Museum Moderner Kunst, Passau; Museum der Stadt Ratingen; Städtische Galerie "Sohle 2", Bergkamen; Städt. Museen Zwickau; Siegerlandmuseum Siegen; Internationales Künstlerhaus Villa Concordia, Bamberg; Galerie im Woferlhof, Kötzting;  Oberösterreichisches Landesmuseum, Linz; Medizinhistorisches Museum der Charité, Berlin; Kunsthalle Erfurt; Wilhelm-Fabry-Museum, Hilden; Kunsthaus Kaufbeuren; Galerie Bernd Lutze, Friedrichshafen; Schloß Achberg/Ravensburg; Forum Kunst Rottweil; Kunstsammlungen Chemnitz; Museum Würth, Künzelsau; Albertinum Dresden; Diözesanmuseum Osnabrück; Kunstverein Wilhelmshöhe, Ettlingen; Städtische Galerie Traunstein; Museo Würth La Rioja; Kunsthalle Schweinfurt; Städtische Galerie in der Badstube, Wangen; Kunstverein Hof; Kunsthalle Würth, Schwäbisch Hall; Museum für Neue Kunst, Freiburg; Kunsthalle Bremen; Landesgalerie Linz.;  

Arbeiten in öffentlichen Sammlungen
Bayreuth, Kunstmuseum Berlin, Sammlung des Deutschen Bundestages Berlin, Staatliche Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Neue Nationalgalerie Berlin, Staatliche Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Kupferstichkabinett Bonn, Sammlung zeitgenössischer Kunst der Bundesrepublik Deutschland Bozen, Messner Mountain Museen Braunschweig Städtisches Museum Chemnitz Kunstsammlungen Coburg Kunstsammlungen der Veste Coburg Dresden Staatliche Kunstsammlungen, Galerie Neue Meister Albertinum Dresden Staatliche Kunstsammlungen, Kupferstichkabinett Düsseldorf Museum Kunstpalast Erlangen Kunstpalais, Stadt Erlangen Ehingen, Städtische Galerie Ettlingen, Museum Ettlingen, Städtische Galerie Freiburg, Städtische Museen, Museum für Neue Kunst Hamburg, Kunsthalle Heilbronn, Städtische Museen Husum, Nordfriesland Museum, Nissenhaus Kaiserslautern, Museum Pfalzgalerie Karlsruhe, Städtische Galerie Kassel, Museum für Sepulkralkultur Kassel, Museumslandschaft Hessen, Neue Galerie Kiel, Stadtgalerie Köln, Museum Ludwig Künzelsau, Museum Würth Linz, Oberösterreichisches Landesmuseum Lübeck, Lübecker Museen, Kunsthalle St. Annen Ludwigshafen, Wilhelm-Hack-Museum Mannheim, Kunsthalle München, Bayerische Staatsgemäldesammlungen – Pinakothek der Moderne München, Städtische Galerie im Lenbachhaus Münster, LWL-Museum für Kunst und Kultur, Westfälisches Landesmuseum Neu Delhi, National Gallery of Modern Art New York, Mc. Crory Corporation New York, Museum of Modern Art Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Neues Museum, Staatliches Museum für Kunst und Design Nürnberg, Städtische Kunstsammlungen Saarbrücken, Saarlandmuseum Stuttgart, Kunstmuseum Stuttgart, Staatsgalerie Ulm, Ulmer Museum Wolfsburg, Kunstmuseum Würzburg, Museum am Dom
Vita Franz Baumgartner