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Missa Miseria - Mise en Page

Die Missa misera ist eine Serie von insgesamt 99 Arbeiten (90 Papierarbeiten / neun Großformate Öl/Leinwand, jeweils als Mittelbild), entstanden 2013-2014. Sie besteht aus sechs Teilen (je 12 Papierarbeiten und ein Großformat/Mittelbild), sowie einem Prae-, Inter- und Postludium (je 6 Zeichnungen und ein Großformat/Mittelbild).

Aus dieser oben angeführten Aussage zur „Missa misera“ des Malers Konrad Hummel lässt sich die wesentliche Prämisse zum Umgang mit dem Werkkomplex herauslesen: Entscheidend ist nicht die Betrachtung einzelner Zeichnungen oder Bilder, sondern die Ansicht des Gesamtwerks. Dessen strikt formale Anordnung, oder auch Aus-Legung [sic!], erfordert des Betrachters ungeteilte Aufmerksamkeit. So kann ihm der Anklang an die Kreuzform nicht entgehen – und diese Assoziation mit dem Sakralen, dem Liturgischen, wird durch die begriffliche Bezugnahme auf die „Missa“ bzw. die „Missa solemnis“, das Hochamt, und dessen feierliche Vertonung, noch verstärkt.

Johann Heinrich Zedler beschreibt 1739 im 20. Band seines „Großen Vollständigen Universal-Lexicons aller Wissenschaften und Künste“ die „Missa“ als „die Haltung des heiligen Abendmahls, in derjenigen Form, welche in der katholischen Kirche gebräuchlich“ sei. Der Begriff resultiere „aus einer Gewohnheit der alten Kirche …, in welcher die neu angehenden Christen, welche noch in den ersten Grundstücken des Glaubens unterrichtet wurden, … aus der öffentlichen Versammlung entlassen wurden, wenn man zur Haltung dieses heiligen Mahls schreiten wollte. …“ Die protestantischen Kontroverstheologen des 17. und 18. Jahrhunderts interpretierten dieses Vorgehen dann auch genüsslich als Hinauswurf; und Zedler lässt es sich im Fortgang seines Lexikon-Artikels nicht nehmen, eine Aufzählung der schier uner“mess“lich vielen verschiedenen „Mess“-Arten folgen zu lassen (unter anderen erwähnt wird die Leichen-„Messe“: Sie werde mit „ange“messe“ner Betrübnis gelesen, trage aber viel Geld ein). Der Künstler Konrad Hummel amüsiert sich darob, und die Betrachter seiner Bilder mit ihm: entdeckt man doch, um im kirchlichen Sektor zu verbleiben, auf verschiedenen Einzelwerken gelegentlich Fragmente von Säulen, die an Sakralgebäude gemahnen; Details wie gigantische Türriegel (eines Kirchenportals?); Treppen, Galerien, Balustraden (einer mittelalterlichen Kathedrale?) Und diejenigen, welche just mit dem „Ite, missa est“ ihre Demission erhalten haben, kehren wieder als die Silhouette, oder die Andeutung, eines sich im Laufschritt bewegenden menschlichen Individuums. Der Betrachter folgt dem Verweis des Künstlers auf dessen Exploration des musikalischen Wortfelds, und reminisziert die Werkreihe der „Großen Fuge“. Die Fuge erhielt bekanntlich ihren Namen nach dem lateinischen Wort „fuga“ , was „Flucht“ oder „Weglaufen“ bedeutet. Wem oder was gilt es zu entkommen? Den riesigen Lautsprechern, die Hören und Sehen vergehen lassen? Die Trommelfelle beben im Dröhnen der Standpauke – und dabei bedeutet „miser“ doch nicht nur ärmlich oder elend, sondern auch töricht und geistig fehlgeleitet – das spricht nicht für den Prediger! Es scheint hier vielmehr der Rückzug auf die Erkenntnis des Philosophen angebracht, der konstatiert, dass im Gegensatz zum Gesagten das zu Sagende nichts Sprachliches sei – Konrad Hummel jedenfalls fügt sein Denken in sein Bildwerk ein und begegnet der Flüchtigkeit und Immaterialität der Töne wie der Ideen mit der Verortung in seinem festgefügten System. Kann dies auf Dauer gelingen? Der Künstler bejaht und vollzieht es kontinuierlich, in seiner Arbeit an immer neuen Serien: „Was nicht ist, kann noch werden, was verwirklicht wird, setzt Mögliches in seinem Stoff voraus. Es gibt im Menschen dies Offene, und Träume wohnen darin. Das Offene ist ebenso in den Dingen, an ihrem vorderen Rand, dort, wo noch Werden möglich ist.“ (Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung).

Was nun konkret ist die „Missa Misera“? Teil eines strikten Ordnungskonzeptes, welches sich jedoch auch selbst karikiert und somit gleichzeitig in Frage stellt? Der fortwährende, unermüdliche Weiterbau eines in sich geschlossenen, selbstreferentiellen Systems, dessen Ver-Dichtungsprozess Intervention sukzessive erschwert? Wird es je wirklich abgeschlossen sein, oder versinnbildlicht es die Perfektion des Unvollendeten – letzteres Paradoxon würde dem Künstler wohl gefallen.

Wie gesagt: Viel Philosophisches, und viel des Philosophierens, steckt in Hummels Bildern. Brauchen Gedanken Bilder? – Möglicherweise; vor allem aber brauchen Bilder Gedanken! Konrad Hummel hat sie sich gemacht, und ihnen in seinen Werken Gestalt verliehen. Allerdings hat er keineswegs vor, den Betrachtern abzunehmen, sich eigenständige Gedanken zu machen.

Letztendlich bleibt alles eine Frage der Aus-Legung.


Konrad Hummel

*1955 in Göppingen
1975 – 1980 Studium an der Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart
1976 – 1979 Studium Kunstgeschichte an der Universität Stuttgart

LEHRTÄTIGKEIT
2002 – 2003 Lehrauftrag an der Burg Giebichstein | Hochschule für Kunst und Design, Halle
2004 – 2005 Lehrauftrag an der Philipps-Universität Marburg
2005 Lehrauftrag an der Universität Marburg
2007 Vertretungsprofessur an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart

MITGLIEDSCHAFTEN
Künstlerbund Baden-Württemberg Mitglied Neue Gruppe München Verein Düsseldorfer Künstler

AUSZEICHNUNGEN
1978 Preisträger „Grafik unserer Zeit“, Frankfurt
1980 1. Preis, Jugendpreis Ulm
1982 Stipendium der Stadt Göppingen
1984 Stipendium der Kunststiftung Baden-Württemberg
1987 Förderpreis der Großen Kunstausstellung Düsseldorf
1990 Stipendium Künstlerbahnhof Ebernburg
1992 1. Preis Kunstpreis der Stadt Neuenburg am Rhein
2001 Stipendium der Stadt Wertingen
2003 Stipendium Cité Internationale des Arts, Paris
2004 Prix du Jury, Ministère de la Culture, Luxembourg