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Michael Königer

Die Archäologie der Zukunft

Metamorphose fasziniert ihn, sagt Michael Königer.

Wörtlich aus dem Griechischen, bedeutet dies einfach „Umgestaltung“ und kann auf diverse Kontexte bezogen werden, wobei insbesondere der Bedeutungszusammenhang des Gestaltwechsels eines Wesens oder eines Menschen sehr bekannt ist.

Wie formt nun Königer den Gestaltwechsel aus, was verändert sich? Einige Werkbeispiele: In den „Schädel junger Rehbock“ (2017) sind Hand- bzw. Stellräder integriert, die diesen partiell zu zerteilen und andererseits fahrbar zu machen scheinen; der Raubtierschädel (2017) ist mit Zahnrädern versehen. Der Unterschied zu älteren Werken ist offensichtlich; zu den Knochen, heißt zum Organischen, kommt das Artefakt hinzu, vom Menschen gefertigt aus Stahl. Auf den zweiten Blick ergeben sich jedoch Fragen – was genau stellen die Skulpturen dar? Eine nachvollziehbare Zweckorientierung scheidet aus. Gibt es etwa gar keine Zweckorientierung? Oder ist gerade die Zwecklosigkeit der Sinn? Noch bevor man mögliche Antworten überhaupt gefunden, geschweige sich denn für eine bestimmte Antwort entschieden hätte, frappiert uns der Künstler. Der „Hechtkiefer“ trifft Gotik (2020), aber ohne Artefakt, und Karner II (2020) hat nur ein Zitat dabei – nichts Dingliches jedenfalls.

Befasst man sich mit den Artefakten genauer, erschließt sich, dass es sich dabei um sehr alte, ursprüngliche und kulturhistorisch „aufgeladene“ Elemente handelt; Verstrebungen wie einfache Käfige oder Verschläge, allen voran jedoch das Rad, mehr Chiffre denn technisches Bauteil, Metapher für Bewegung und Fortschritt, mehr Bedeutung transportierend denn Lasten. An diesem Punkt treffen sich Rad, Zitat und Gotik auch wieder, materielle und immaterielle, historische und zeitlose Errungenschaften menschlicher Handwerkskunst und menschlichen Geistes. Ein Blick in Jacob und Wilhelm Grimms „Deutsches Wörterbuch“ vermittelt eine Ahnung von den Konnotationen des Rades und seiner Bewegung; nicht nur ist es Teil eines mechanischen Getriebes, sondern auch Sinnbild äußeren, „erzwungenen“ und inneren, eigenen Antriebs.

Michael Königer findet hier seine Bestimmung als Künstler und als Forscher. Er gräbt in einer Vergangenheit, in der das Menschliche und das Menschengemachte noch nicht voneinander geschieden waren, in welcher Mensch, Artefakt und Tier – durch gegenseitigen Respekt voreinander – zumindest den Versuch einer Zwiesprache und einer Verbindung miteinander aufrechterhalten. Schichten und Sedimente durchdringt Königer auf seinem Weg, legt frei, beschreibt das Gefundene, und es ist kein Zufall, dass die Anmutung mancher seiner Skulpturen die Assoziation erweckt, sie stammten aus dem Paläolithikum – auch wenn damals noch niemand das Rad kannte. Und Königer tut dies keineswegs unkritisch, oder nur rückwärtsgewandt: Ist die Paläontologie die Wissenschaft von den Lebewesen vergangener Erdzeitalter, die Archäologie diejenige von der kulturellen Entwicklung der Menschheit, so gräbt Königer in der Vergangenheit, um auf eine Zukunft zu stoßen. Er weiß genau um die „Neigung des Menschen, sich in seinen eigenen Erzeugnissen zu spiegeln“, wie der Philosoph Vilém Flusser es umschreibt. Und er kennt die Folge dieser „Neigung“, nämlich dass der Mensch „Modelle [entwirft], um die Wirklichkeit zu ändern.“ Als „Vorbild dient ihm der menschliche Körper. Das Modell wird in Form eines Produkts hergestellt. Später wird hinter dem Erzeugnis das menschliche Modell vergessen, und das Erzeugnis seinerseits wird das Modell für menschliches Verstehen und Benehmen. … Diese schädliche Rückwirkung zwischen dem Menschen und seinem Erzeugnis ist ein wichtiger Faktor der Entfremdung des Menschen von seiner Umgebung und von sich selbst.“ Nicht unwesentlich ist in diesem Zusammenhang auch, dass bereits in der Frühen Neuzeit narrative Muster existieren, die technische Produkte implizit negativ besetzen, da sie z. B. den Kriegsgegner mit Kriegsmaschinen überlisten oder allgemein Menschen durch den Einsatz dubioser Apparaturen bzw. Automaten betrügen.

Der Künstler Königer, Archäologe der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, wählt einen anderen Ansatz, nicht den des Pessimisten, sondern den des Forschers, für den eine aufgeschlossene und unvoreingenommene Beobachtung essentiell ist – und entwirft Relikte der Utopie. Die Grenze zwischen der Mechanisierung der menschlichen und der Anthropomorphisierung der maschinellen Gestalt ist fließend? – dann wird eben ausprobiert, was daraus werden könnte. Eignet dem entstandenen Objekt Funktionalität? – so denn nicht, überlassen wir uns gemeinsam mit dem Künstler der Poesie der Dysfunktionalität. Wandeln durch die Zeit, oszillieren zwischen den Zeitebenen, sich stetig bedingende und ineinander übergehende Veränderung, die Verschränkung verschiedener Perspektiven, Qualitäten und Ebenen von Wirklichkeit, das ist Königers Arbeit – ist, so einfach wie umfassend ausgedrückt, Existenz.
Vilém Flusser erkennt: „Die Zukunft ist nur eine Möglichkeit. Es ist noch Zeit einzugreifen. Der Fortschritt verläuft nicht automatisch, sondern ist Folge des menschlichen Willens und der menschlichen Freiheit. … Es muss versucht werden, die Zukunft den menschlichen Bedürfnissen und den echten menschlichen Idealen anzupassen.“
Wie geht es am Ende aus, ist es Fortschritt oder Schmerz? – das, zeigt uns Michael Königer, ist die Herausforderung.

Das letzten Worte gebühren Karner II (2020): Wir befinden uns in einem Museum, im Jahre 5000 nach Christus, und erblicken ein Exponat aus der „Ersten Digitalen Ära“ der frühen 2000er Jahre. Er sieht uns an, der Karner, und fügt sich beinahe lächelnd dem ewigen Kreislauf aller Dinge, nicht in Ergebenheit – mit Gelassenheit.

Diejenigen, die gelernt haben, auf der Schwelle zu den unbekannten Welten zu wandeln, mit dem, was gemeinhin als die exakten Wissenschaften schlechthin bezeichnet wird, können dann mit den schönen weißen Flügeln der Einbildungskraft hoffen, weiter in das Unerforschte zu gelangen, in dessen Mitte wir leben.
Ada Lovelace (1815-1852)

Von Gestalten zu künden, die in neue Körper verwandelt wurden, treibt mich der Geist. Ihr Götter – habt ihr doch jene Verwandlungen bewirkt –, beflügelt mein Beginnen und führt meine Dichtung ununterbrochen vom allerersten Ursprung der Welt bis zu meiner Zeit!
Ovid, Metamorphosen, Vorrede des Dichters


Literatur

Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, digitalisierte Fassung im Wörterbuchnetz des Trier Center for Digital Humanities, Version 01/21, <https://www.woerterbuchnetz.de/DWB>

Flusser, Vilém, Vogelflüge. Essays zu Natur und Kultur. Aus dem Portugiesischen von Edith Flusser, München 2000

Artikel „Verwandelung eines Cörpers“, in: Zedler, Johann Heinrich, Großes Vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste, Band 48, Leipzig und Halle 1746, Spalten 129-136

Michael Königer

Vita

1959 geb. in Dachau

1976 Ausbildung zum Bildhauer und Steinmetz

1985 Steinbildhauermeister

1993 Berufsverband BBK Augsburg

1994-1996 Auftragsarbeiten für den Hell’s Angel’s MC,
         Deutschland, Holland, England

2004 Initiator Bildhauer-Symposiums Mühlhausen/OPf.

2012 Filmprojekt „Rockin Stone“, Zipf/Königer

2017 Projekt „Cooking Vinyl“; Schallplatten-Skulpturen/„Zeitkönig“; Zeitler/Königer

Kunst im Öffentlichen Raum

2013 Fischskulptur Fischersiedlung, Mühlhausen/OPf.

2013 Läuferin II Isola Vicentino, Italien

2016 Akt und Idee, Landlmuseum Sulzbürg

2016 Leibniz-Denkmal, Altdorf/Nbg.

2016 Skulpturenpfad Mühlöhausen/OPf., „Vom Werden und Vergehen“;
         Gemeinschaftsprojekt (Graule/Schinn/Fürbacher/Königer/Zeitler)

2018 Skulpturenpfad Mühlhausen/OPf.; „Paarlauf/Kopf“, Königer/Lynderup

2020 Gemeinschaftswerk „Covid“ - auf Abstand 1.5, Rathausplatz/Mühlh./OPf., Fürbacher, Lynderup, Reithmeier, Königer, Schinn

Auswahl-Ausstellungen und Symposien

2011 Galerie Herrmann, Neumarkt/OPf.

2014 Teilnahme 1. int. Bildhauersymposium Lauchheim, BWB;
         anschl. Ausstellung Lauchheim-Ellwangen-Mühlhausen

2014 Ausstellung Deutschordenschloss, Postbauer-Heng

2016 Teilnahme „Offenes Atelier“

2017 Stein-Bild-Hauer, Finanzministerium Nürnberg
        „Stein·MichaelKöniger|Hauer|FelixRöser·Bild“

2017 Teilnahme Sulztaler-Kunst- u. Kabaretttage

2017 Bildhauersymposium, Riedenburg

2018 Ausstellung Audi-Zentrum, Ingolstadt

2019 Teilnahme „Kunst ohne Filter“, Kunstautomat, Neumarkt/OPf.

Vita Franz Baumgartner